Das BAG hat in seiner gestrigen Entscheidung (Urteil vom 23. Oktober 2025 – 8 AZR 300/24 –) die Position von Equal Pay-Klägerinnen gestärkt. Nach der bislang nur vorliegenden Pressemitteilung hat der 8. Senat des BAG die Anforderungen an die Indizien für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung im Sinne von § 22 AGG im Vergleich zur LAG-Rechtsprechung massiv abgesenkt und damit die Beweislast für Equal Pay-Klägerinnen erleichtert: Kann der Arbeitgeber die aus einem Paarvergleich folgende Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts nicht widerlegen, ist er zur Zahlung des Entgelts verpflichtet, das er dem zum Vergleich herangezogenen Kollegen gezahlt hat. Dabei reicht nach der Senatsentscheidung eine einzige Vergleichsperson des anderen Geschlechts.
Sachverhalt
Unter Berufung auf das Equal Pay-Gebot aus dem europäischen (Primär-)Recht in Art. 157 AEUV und dem Entgelttransparenzgesetz hatte die Klägerin von ihrem Arbeitgeber rückwirkend eine höhere Vergütung für einen Zeitraum von insgesamt fünf Jahren verlangt. Das individuelle Entgelt der Klägerin lag sowohl unterhalb des Medianentgelts der männlichen als auch der weiblichen Vergleichsgruppe der relevanten Führungsebene. Primär forderte sie die Anpassung an das Entgelt eines von ihr benannten männlichen Vergleichskollegen bzw. des weltweit bestbezahlten männlichen Arbeitnehmers innerhalb der männlichen Vergleichsgruppe. Gestützt hatte die Klägerin ihr Vorbringen auf ein über das Intranet ihres Arbeitgebers zur Verfügung gestelltes sogenanntes Entgelttransparenz-Dashboard, in dem sich die Mitarbeiter mit allen anderen weiblichen und männlichen Beschäftigten der jeweils relevanten Vergleichsgruppe vergleichen konnten.
Vorinstanz: Anspruch nur in Höhe der Differenz der Medianentgelte zwischen weiblicher und männlicher Vergleichsgruppe
Die Vorinstanz (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 1. Oktober 2024 – 2 Sa 14/24 –) sah noch die Notwendigkeit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung und sprach der Klägerin deswegen nur einen Anspruch auf Ausgleich der Entgeltdifferenz hinsichtlich einzelner Vergütungsbestandteile in Höhe der Differenz zwischen dem Medianentgelt der weiblichen und dem der männlichen Vergleichsgruppe zu. Die Klägerin könne sich für die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung nicht auf eine einzige Vergleichsperson (den Kollegen der männlichen Vergleichsgruppe mit dem höchsten Entgeltanspruch) des anderen Geschlechts berufen. Angesichts der Größe der männlichen Vergleichsgruppe und der Medianentgelte beider vergleichbarer Geschlechtergruppen bestehe insofern keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung und damit kein hinreichendes Indiz, das zu einer Umkehr der Beweislast zulasten des Arbeitgebers nach § 22 AGG führt.
BAG: Paarvergleich maßgeblich
Nach der gestrigen Entscheidung des BAG genügt es aber für das Vorliegen einer – vom Arbeitgeber zu widerlegenden – Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts, wenn die klagende Arbeitnehmerin darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass ihr Arbeitgeber einem anderen Kollegen, der gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet, ein höheres Entgelt zahlt. Die Größe der männlichen Vergleichsgruppe und die Höhe der Medianentgelte beider Geschlechtergruppen ist nach Ansicht des BAG für das Eingreifen der Vermutungswirkung ohne Bedeutung. Es genügt, wenn die Klägerin schon in Bezug auf eine Vergleichsperson hinreichende Tatsachen vorträgt, die eine geschlechtsbedingte Entgeltbenachteiligung vermuten lassen (sog. Paarvergleich). Hierfür kann folglich auch der bestbezahlte männliche Kollege innerhalb einer Vergleichsgruppe herangezogen werden.
Die Klägerin hat aus Sicht des BAG – unter Verweis auf die Angaben im unternehmensinternen Dashboard – in Bezug auf eine Vergleichsperson hinreichende Tatsachen vorgetragen, die eine geschlechtsbedingte Entgeltbenachteiligung vermuten lassen. Das BAG hat die Angelegenheit daher an die Vorinstanz zurückverwiesen und dem LAG aufgetragen, im fortgesetzten Berufungsverfahren zu prüfen, ob der beklagte Arbeitgeber diese Vermutung – ungeachtet der Intransparenz seines Entgeltsystems – widerlegt hat, wobei beiden Parteien Gelegenheit zur Ergänzung ihres Sachvortrags zu geben ist.
Unionsrechtliche Vorgaben
Seine Entscheidung stützt der Senat der Pressemitteilung zufolge auf Vorgaben des primären Unionsrechts. Damit dürfte die Rechtsprechung des EuGH zum sog. Paarvergleich in Brunnhofer gemeint sein. Danach ist es Sache der Klägerin, mit allen rechtlich vorgesehenen Mitteln zu beweisen, dass der Arbeitgeber ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als ihrem zum Vergleich herangezogenen männlichen Kollegen und dass sie tatsächlich die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtet, sodass sie dem ersten Anschein nach Opfer einer nur mit dem unterschiedlichen Geschlecht erklärbaren Diskriminierung ist. Falls die Klägerin den Beweis erbringt, dass die Kriterien für das Vorliegen einer unterschiedlichen Entlohnung von Männern und Frauen sowie einer vergleichbaren Arbeit erfüllt sind, so spricht dem EuGH zufolge ein erster Anschein für eine Diskriminierung und es obliegt dann dem Arbeitgeber, zu beweisen, dass nicht gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts verstoßen wurde (EuGH, Urteil vom 26. Juni 2001 – C-381/99 – Brunnhofer, Rn. 58 und 60).
Diese Rechtsprechung des EuGH, nunmehr aufgegriffen durch das BAG, dürfte künftig auch bei der Interpretation des Art. 18 Abs. 1 Entgelttransparenzrichtlinie (EU) 2023/790, die bis zum 7. Juni 2026 in nationales Recht umzusetzen ist, und der nationalen Umsetzung zugrunde zu legen sein. Nach Art. 18 Abs. 1 der Entgelttransparenzrichtlinie muss in Fällen, in denen Arbeitnehmer, die sich in ihren Rechten auf Equal Pay für verletzt halten und bei einem nationalen Gericht Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, der beklagte Arbeitgeber nachweisen, dass keine unmittelbare oder mittelbare Entgeltdiskriminierung vorliegt.
Allerdings wirft dies die Frage auf, welche Bedeutung noch der Auskunft nach Art. 7 der Entgelttransparenzrichtlinie zukommt, wonach Arbeitnehmer Auskünfte über ihre individuelle Entgelthöhe und über die durchschnittlichen Entgelthöhen beider Geschlechtergruppen der relevanten Vergleichsgruppe verlangen können. In Zukunft wird der individuelle Auskunftsanspruch nach den §§ 10 ff. EntgTranspG sich daher nicht auf die Angabe des Medianentgelts des jeweils anderen Geschlechts beschränken können. Kommt der Arbeitgeber dieser Auskunftspflicht nicht nach, verlagert sich nach Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie ebenfalls die Beweislast und der Arbeitgeber muss nachweisen, dass keine Entgeltdiskriminierung vorliegt. Es bleibt abzuwarten, ob der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie den Median weiterhin neben der Angabe des Durchschnittsentgelts der beiden Geschlechtergruppen verlangen wird.
Weitere Erleichterungen für Equal Pay-Klägerinnen sieht die Richtlinie etwa in Art. 15 vor, wonach Verbände, Organisationen, Gleichbehandlungsstellen und Arbeitnehmervertreter, die ein berechtigtes Interesse an der Gewährleistung der Gleichstellung von Männern und Frauen haben, in Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren mit der Zustimmung eines mutmaßlichen Opfers einer Equal Pay Diskriminierung in dessen Namen oder zur dessen Unterstützung handeln können. Art. 22 der Entgelttransparenzrichtlinie sieht darüber hinaus Erleichterungen in Bezug auf die Kostenverteilung beim Einklagen von Equal Pay Ansprüchen vor. Die Mitgliedsstaaten müssen demnach sicherstellen, dass in den Fällen, in denen der beklagte Arbeitgeber in einem Equal Pay Verfahren obsiegt, die nationalen Gerichte im Einklang mit dem nationalen Recht prüfen können, ob die klagende Arbeitnehmerin berechtigte Gründe für die Klage hatte und, wenn dies der Fall ist, ob es angemessen wäre, dass sie die Verfahrenskosten nicht tragen muss.
Fazit
Das BAG stärkt mit seiner Entscheidung die Position von Equal Pay-Klägerinnen und reduziert die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast erheblich. Die Entwicklung hin zu einer erleichterten Durchsetzung des Equal Pay Anspruchs wird die bevorstehende Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie weiter vorantreiben. Arbeitgebern ist dringend zu empfehlen, individuelle Gehaltsentscheidungen und ihre Gründe zu dokumentieren (z.B. die besondere Qualifikation oder die Marktsituation, die ein höheres Gehalt rechtfertigen), um die Vermutung einer Benachteiligung widerlegen zu können. Gerade bei den in der Praxis häufig vorkommenden Gehaltsbändern und bei individuellen Gehaltsentscheidungen wird dies unerlässlich. In der Praxis dürfte es mit Blick auf Equal Pay Ansprüche auch von Vorteil sein, wenn die Vergleichsgruppen, die gleiche bzw. gleichwertige Arbeit verrichten, eher klein ausfallen.
Zu den Vorgaben der Entgelttransparenzrichtlinie siehe unser Briefing „Equal Pay Day in Deutschland – Künftig auch auf Unternehmensebene?“, der zunehmenden Bedeutung von Equal Pay-Klagen sowie zur Vorinstanz „Equal Pay Klagen auf dem Vormarsch“.
